Zitate aus fremden eMails

Der Verfasser eines Briefes oder einer eMail hat gegenüber dem Empfänger keinen Anspruch auf Unterlassung einer Veröffentlichung von Passagen dieses Schreibens, nur weil er durch das Zitat seines eigenen Schreibens in einem schlechten Licht dargestellt werden würde. Dies schrieb jetzt das Bundesverfassungsgericht der Pressekammer des Landgerichts Berlin ins Stammbuch.

Zitate aus fremden eMails

Der Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde, über die das Bundesverfassungsgericht jetzt entschieden hat, betreibt die Internet-Zeitung „Neue Rheinische Zeitung“. Er beabsichtigte, dort einen Artikel des Autors Werner Rügemer zu veröffentlichen, der sich mit einem Rechtsstreit befasste, in dem Rügemer vor dem Landgericht Berlin auf Unterlassung der Veröffentlichung seines Buches „Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim“ in Anspruch genommen wurde. Deshalb fragte der Beschwerdeführer schriftlich bei dem Seniorpartner des Rechtsanwalts Höch, der den klagenden Privatbankier in jenem Rechtsstreit vertrat, an, ob er ein auf dessen Kanzleihomepage vorhandenes Foto für die Veröffentlichung verwenden dürfe. Die Anfrage war in einem teils unfreundlichen, teils ironischen Ton gehalten. Der so angeschriebene Rechtsanwalt Schertz, der spätere Kläger, widersprach ausdrücklich der Nutzung von Bildern seiner Person und seines Sozius Höch und drohte dem Beschwerdeführer mit rechtlichen Schritten. Im Zusammenhang mit dem anschließend veröffentlichten Artikel des Rugemer auf seiner Website, in dem sowohl das Auftreten als auch die äußere Erscheinung des Prozessvertreters Höch kommentiert wurden, merkte die Redaktion an, dass der Beschwerdeführer auf Anfrage „ein eindrucksvolles Homepage-Foto seiner Kanzlei zu Rugemers Glosse nicht habe freigeben wollen“. Zudem wurde der Inhalt der eMail des Klägers sowie einer weiteren eMail, mit der auch der Rechtsanwalt Höch ausdrücklich der Verwendung seines Bildes widersprochen hatte, wörtlich wiedergegeben.

Der Kläger nahm den Beschwerdeführer daraufhin beim Landgericht Berlin auf Unterlassung wörtlicher Zitate aus dem anwaltlichen Schreiben in Anspruch. Mit dem hier angegriffenen Urteil vom 5. Juni 2007 bejahte das Landgericht einen Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB1. Der Kläger werde, so das Landgericht Berlin in seinen Urteilsgründen, durch die Wiedergabe seiner harsch formulierten Ablehnung auf der Website des Beschwerdeführers öffentlich als jemand vorgeführt, der auf eine schlichte Anfrage mit einer scharfen Drohung reagiere. Die dadurch erfolgte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers wiege schwerer als das Interesse der Öffentlichkeit an dieser Information. Die Berufung des Beschwerdeführers gegen das landgerichtliche Urteil wurde vom Kammergericht Berlin nach entsprechendem Hinweis gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen2.

Der Beschwerdeführer hat gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Berlin sowie den Beschluss des Kammergerichts Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG rügt.

Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr die gerichtlichen Entscheidungen aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die Verurteilung zur Unterlassung wörtlicher Zitate aus dem anwaltlichen Schreiben des Klägers verletzt, so das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungsgründen, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG).

In den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen auch Tatsachenbehauptungen, sofern sie – wie im vorliegenden Fall – zur Bildung von Meinungen beitragen können. Zwar können § 823 Abs. 1 und § 1004 BGB als grundrechtsbeschränkende Normen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG herangezogen werden. Die Gerichte haben aber bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften die wertsetzende Bedeutung des beeinträchtigten Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt.

Bereits die Annahme der Gerichte, dass die Veröffentlichung des Zitats das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers beeinträchtige, begegnet, so das Bundesverfassungsgericht erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Soweit das Landgericht darauf abhebt, dass der Kläger „öffentlich vorgeführt“ werde, mag dies als Bezugnahme auf die Rechtsfigur der Prangerwirkung zu verstehen sein. Diese wird von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung dann erwogen, wenn ein – nach Auffassung des Äußernden – beanstandungswürdiges Verhalten aus der Sozialsphäre einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird und sich dies schwerwiegend auf Ansehen und Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen auswirkt3, was insbesondere dort in Betracht kommt, wo eine Einzelperson aus der Vielzahl derjenigen, die das vom Äußernden kritisierte Verhalten gezeigt haben, herausgehoben wird, um die Kritik des als negativ bewerteten Geschehens durch Personalisierung zu verdeutlichen4. Dabei kann die Anprangerung dazu führen, dass die regelmäßig zulässige Äußerung einer wahren Tatsache aus der Sozialsphäre im Einzelfall mit Rücksicht auf die überwiegenden Persönlichkeitsbelange des Betroffenen zu untersagen ist. Diese Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden5.

Ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall ist jedoch, so das Bundesverfassungsgericht, von den Berliner Gerichten nicht nachvollziehbar begründet. Die Urteilsgründe lassen insbesondere nicht erkennen, dass das mit dem Zitat berichtete Verhalten des Klägers ein schwerwiegendes Unwerturteil des Durchschnittspublikums oder wesentlicher Teile desselben nach sich ziehen könnte, wie es der Annahme einer Anprangerung vorausgesetzt ist. Es erscheint vielmehr schon zweifelhaft, ob die Mitteilung, dass jemand sich in scharfer Form gegen die Veröffentlichung des eigenen Bildes verwahrt, überhaupt geeignet ist, sich abträglich auf dessen Ehre oder dessen Ansehen auszuwirken.

Auch die ergänzende Erwägung des Kammergerichts, die Äußerung rufe insgesamt einen falschen Eindruck hervor, indem sie den Kläger als jemanden darstelle, der auf eine schlichte Anfrage sogleich mit einer scharfen Drohung reagiere, erweist sich für das Bundesverfassungsgericht als nicht tragfähig. Zwar verdeutlicht sie, worin das Kammergericht die den Ruf des Klägers beeinträchtigende Wirkung des Textes sieht, nämlich darin, dass er dessen Reaktion als unangemessen erscheinen lasse. Indes kann dem Text der Aussagegehalt, dass der zitierten eMail eine „schlichte Anfrage“ vorausgegangen sei, nicht beigemessen werden. Er verhält sich ausdrücklich in keiner Weise zu dem Wortlaut oder Charakter der Anfrage, sondern teilt lediglich mit, der Kläger habe „auf Anfrage“ das Foto nicht freigeben mögen. Soweit das Kammergericht gerade dem Schweigen des Textes hierzu die Aussage entnehmen will, dass die Anfrage keine erwähnenswerten Besonderheiten aufgewiesen habe, ist dies zwar im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Werden dem Leser Tatsachen mitgeteilt, aus denen er erkennbar eigene wertende Schlussfolgerungen ziehen soll, so dürfen dabei keine wesentlichen Umstände verschwiegen werden, die geeignet sind, den Vorgang in einem anderen Licht erscheinen zu lassen6. Allerdings hat das Kammergericht einen solchen Fall nicht in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise begründet. Insbesondere hat es den Textzusammenhang nicht hinreichend gewürdigt und hierdurch die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Deutung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallender Äußerungen verfehlt. So hat es zum einen nicht erwogen, ob nicht gerade die nach seiner Auffassung bemerkenswerte Schärfe der E-Mail die Annahme, dass lediglich eine „schlichte Anfrage“ vorausgegangen sei, für den maßgeblichen Durchschnittsleser fernliegend erscheinen lassen musste. Ebenso wenig hat es gewürdigt, dass der von dem Beschwerdeführer verbreitete Artikel eine Vielzahl kritischer und herabsetzender Äußerungen über den Sozius des Klägers enthält, was vom Leser ebenfalls als Hinweis auf eine entsprechend formulierte Anfrage verstanden werden dürfte. Schließlich ist das Kammergericht auch nicht darauf eingegangen, dass in dem Text ausdrücklich mitgeteilt wird, die Anfrage habe sich auf eine Verwendung des Bildes für eine „Glosse“ bezogen, die von dem Prozessgegner des von der Kanzlei des Klägers vertretenen Bankhauses verfasst war und somit keine positive Darstellung des Klägers erwarten ließ.

Ebenfalls verfassungsrechtlich zu beanstanden sind, so das Bundesverfassungsgericht die Erwägungen, auf die die Gerichte ihre Abwägung zwischen dem ihrer Auffassung nach betroffenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers gestützt haben. Insoweit heben die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Kammergerichts wesentlich darauf ab, dass das öffentliche Informationsinteresse an der streitgegenständlichen Äußerung gering sei. Diese Erwägung lässt befürchten, dass die Gerichte den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG grundlegend verkannt haben. Zwar handelt es sich bei dem – hier als gering erachteten – öffentlichen Informationsinteresse um einen wesentlichen Abwägungsfaktor in Fällen einer Kollision der grundrechtlich geschützten Äußerungsinteressen einerseits und der Persönlichkeitsbelange des von der Äußerung Betroffenen andererseits. Dies bedeutet aber nicht, dass die Meinungsfreiheit nur unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt wäre und von dem Grundrechtsträger nur gleichsam treuhänderisch für das demokratisch verfasste Gemeinwesen ausgeübt würde. Vielmehr gewährleistet das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht das Grundrecht sein in eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann. Angesichts dessen stellt es eine verfassungsrechtlich bedenkliche Verkürzung dar, wenn die Gerichte dem Kläger vorliegend allein deshalb einen Unterlassungsanspruch zuerkannt haben, weil dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. Februar 2010 – 1 BvR 2477/08

  1. LG Berlin, Urteil vom 05.06.2007 – 27 O 184/07[]
  2. KG, Beschluss vom 19.05.2008 – 10 U 190/07[]
  3. vgl. BGH, Urteile vom 21.11.2006 – VI ZR 259/05, NJW-RR 2007, 619, 620 f.; und vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, NJW 2009, S. 2888, 2892[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 12.07.1994 – VI ZR 1/94, VersR 1994, 1116, 1118[]
  5. BVerfGE 35, 202, 233; 97, 391, 406; BVerfGK 8, 107, 115[]
  6. vgl. BVerfGE 12, 113, 130 f.; 114, 339, 353 f.; BGH, Urteil vom 22.11.2005 – VI ZR 204/04, NJW 2006, 601, 603[]