Die nachgeahmte Plastikuhr

Der Vertrieb der Nachahmung einer „Plastikuhr“ kann trotz markenähnlicher Kennzeichnung eine mittelbare Herkunftstäuschung auslösen, wenn dem Verkehr bekannt ist, dass z.B. für Mode- und Sportartikelhersteller Uhren in Lizenz hergestellt werden und Kooperationen mit Künstlern im Uhrenmarkt nicht unüblich sind.

Die nachgeahmte Plastikuhr

Mit dieser Begründung hat jetzt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main eine Händlerin verurteilt, den Vertrieb nachgeahmter Plastikuhren zu unterlassen.

Die Klägerin vertreibt seit 1983 aus Kunststoff hergestellte Uhren. Die streitgegenständliche Modellserie wird in verschiedenen Designvarianten vertrieben, wobei die Klägerin hinsichtlich der farblichen Gestaltung der Uhren auch mit zeitgenössischen Künstlern zusammenarbeitet. Ihre Uhren sind ab einem Preis von 63, 00 € erhältlich. Die Beklagte bot über die Amazon-Plattform Plastikarmbanduhren in unterschiedlichen Farben mit im Ziffernblatt aufgedruckten – von den klägerischen Bezeichnungen abweichenden – Kennzeichnungen zu Preisen zwischen 12, 48 € und 13, 67 € an.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Frankfurt am Main hatte die Klage auf Unterlassen des Anbietens der in der Berufung gegenständlichen Uhrenmodelle abgewiesen[1]. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte vor dem Oberlandesgericht Frankfurt Erfolg. Der Vertrieb der Uhren stelle eine unlautere Nachahmung der klägerischen Uhrenmodelle dar, begründete das OLG seine Entscheidung:

Dem Uhrenmodell der Klägerin komme eine gesteigerte wettbewerbliche Eigenart zu. Es handele sich um „eine sehr reduzierte Uhrenserie zu einem vergleichsweise günstigen Preis aus einem damals für Uhren ungewöhnlichen Material … nämlich Plastik“. Aufgrund der hohen Bekanntheit des Produktes sei hier von einem gesteigerter Grad an Eigenheit auszugehen. Diese wettbewerbliche Eigenart werde nicht durch „wahllos“ von der Beklagten herangezogene andere „Plastikuhren“ infrage gestellt, die mit dem klägerischen Modell außer dem Material nicht viel Gemeinsames hätten. Die Beklagte habe das klägerische Modell auch nachgeahmt. Nahezu sämtliche die Eigenart begründenden Merkmale seien von ihr übernommen worden. Die im Ziffernblatt vorhandene abweichende Kennzeichnung schließe zwar eine unmittelbare Herkunftstäuschung aus. Es liege aber eine sog. mittelbare Herkunftstäuschung vor. Auf dem Uhrenmarkt sei es üblich, dass mit Zweitmarken operiert werde. Verbreitet würden auch Uhren über Lizenzverträge für bekannte Mode- und Sportartikellabel hergestellt. Der Verkehr nehme deshalb hier hinsichtlich der abweichenden Kennzeichnung der Uhren der Beklagten an, dass eine lizenzrechtliche Beziehung zur Klägerin bestehe oder eine Zweitmarke vorliege. Die Beklagte beute zudem den guten Ruf der Klägerin aus. Dabei komme es nicht darauf an, dass es sich hier nicht um eine Luxus-Uhr handele. Auch niedrigpreisige Produkte könnten einer Rufausbeutung unterliegen, wenn der Verkehr ihnen eine besondere Wertschätzung entgegenbringe. Hier würden die „Plastikuhren“ des streitgegenständlichen Modells einen außerordentlichen Ruf genießen. „Sie sind“, so das OLG, „das Synonym für die Produktgruppe der „Plastikuhren“, die die Klägerin erstmals großflächig auf den Markt gebracht hat“. An dieses positive Image habe sich die Beklagte ohne Grund in so starkem Maße angelehnt, dass sie „unlauter an der von der Klägerin durch eigene langjährige Anstrengungen am Markt erworbenen Wertschätzung profitiert“, stellt das OLG fest.

Der Vertrieb der streitgegenständlichen Uhren durch die Beklagte stellt eine unlautere Nachahmung der „GENT“-Uhr der Klägerin dar. Der Klägerin stehen daher sowohl Unterlassungs, als auch Auskunfts- und Schadensersatzfeststellungansprüche gegen die Beklagte zu. Die Beklagte schuldet auch den Ersatz der Abmahnkosten, allerdings nicht in der geltend gemachten Höhe.

Die GENT-Uhr kommt eine gesteigerte wettbewerbliche Eigenart nach § 4 Nr. 3 UWG zu.

Wettbewerbliche Eigenart liegt vor, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen[2]. Die wettbewerbliche Eigenart muss sich gerade aus den übernommenen Gestaltungsmerkmalen des Erzeugnisses ergeben. Es müssen also gerade die übernommenen Gestaltungsmerkmale geeignet sein, im Verkehr auf eine bestimmte betriebliche Herkunft oder auf die Besonderheit des jeweiligen Erzeugnisses hinzuweisen[3]. Das ist immer dann der Fall, wenn sich das Produkt – unabhängig von der Anzahl der Merkmale – von anderen Produkten im Marktumfeld so abhebt, dass der Verkehr es einem bestimmten Hersteller zuordnet[4]. Bei Serien kann sich der Hersteller auf alle Merkmale stützen, die der Serie zu eigen sind[5].

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Landgericht hier eine wettbewerbliche Eigenart zu Recht bejaht. Die Elemente für die Modellserie „GENT“ sind wie folgt zu charakterisieren:

  • Ein Tonnengehäuse zur Aufnahme eines kreisrunden Zifferblattes, das oben und unten zum Armband hin harmonisch und flächig ausläuft,
  • wodurch ein fließender Übergang zum Armband entsteht, insbesondere da das Armband ohne sichtbare Hornansätze mit dem Uhrgehäuse verzahnt ist;
  • der Uhrgehäuserand ist harmonisch abgerundet und
  • das kreisrunde Ziffernblatt wird überspannt von einem leicht kuppelförmigen, kreisrunden Uhrglas, das unmittelbar in das Gehäuse eingelassen ist;
  • das Armband verjüngt sich zur Schließe hin dezent;
  • die Uhr ist aus Kunststoff gefertigt.

Damit ist nach dem Vortrag der Klägerin im Jahr 1983 bzw.1997 eine sehr reduzierte Uhrenserie zu einem vergleichsweise günstigen Preis aus einem damals für Uhren ungewöhnlichen Material geschaffen worden, nämlich Plastik, weshalb die Uhrenmodelle gemeinhin auch als Plastikuhren bezeichnet worden. Die Reduktion der verwendeten Elemente setze sich in der reduzierten Linienführung fort, denn alle Linien wirkte wie aus einem Fluss, alle Übergänge seien harmonisch gestaltet, auf Ecken und Kanten werde verzichtet. Die alleinige Verwendung nur des Materials Kunststoff mache die Uhr leicht. Die Kombination mit der weichen Linienführung und der Vermeidung von Ecken und Kanten verleihe der Uhr etwas Weiches. Die spezielle Besonderheit der in Rede stehenden Produkte bestehe daher in der Kombination eines reduzierten Uhrendesigns mit dem damals für Uhren neuartigen und von der Klägerin aufgegriffenen Werkstoff Kunststoff.

Dass dies bei Inverkehrbringen des Uhrenmodells 1983 der Fall war, hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten.

Aufgrund der hohen Bekanntheit der Produkte ist nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts von einem gesteigerten Grad an Eigenart auszugehen. Die Klägerin belegt die hohe Bekanntheit mit umfangreicher Bewerbung und Berichterstattung[6]. Zudem ist auch gerichtsbekannt, dass die „GENT“ der Klägerin als Urform der „Swatch“-Uhr inzwischen als Klassiker anzusehen ist.

Die wettbewerbliche Eigenart ist auch nicht nachträglich in Wegfall geraten.

Während der Kläger, der wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz beansprucht, zu seinem Produkt und dessen Merkmalen, die seine wettbewerbliche Eigenart begründen, konkret vortragen muss, trifft den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die eine an sich bestehende wettbewerbliche Eigenart schwächen oder entfallen lassen. Danach ist es Sache des Beklagten, zum wettbewerblichen Umfeld des in Rede stehenden Produkts vorzutragen und die Marktbedeutung von Produkten darzulegen, mit denen er die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produkts in Frage stellen will[7].

Die wettbewerbliche Eigenart geht verloren, wenn die prägenden Gestaltungsmerkmale des nachgeahmten Originals, z.B. durch eine Vielzahl von Nachahmungen, Allgemeingut geworden sind, der Verkehr sie also nicht (mehr) einem bestimmten Hersteller oder einem mit diesem durch Lizenz- oder Gesellschaftsvertrag verbundenen Unternehmen oder einer bestimmten Ware zuordnet[8]. Jedoch geht eine bestehende wettbewerbliche Eigenart nicht schon dadurch verloren, dass andere Nachahmer mehr oder weniger gleichzeitig auf den Markt kommen. Andernfalls könnte sich jeder Nachahmer auf die allgemeine Verbreitung der Gestaltungsform durch die anderen Nachahmer berufen und dem betroffenen Hersteller des Originals würde die Möglichkeit der rechtlichen Gegenwehr genommen[9].

Für den Einwand, die wettbewerbliche Eigenart sei nachträglich durch Annäherungen im Marktumfeld entfallen, genügt daher die Auflistung von Vergleichsobjekten nicht; erforderlich sind auch Angaben zu Umfang und Zeitraum des Vertriebs[10].

Der Vortrag der Beklagten genügt nicht, um den Wegfall einer wettbewerblichen Eigenart zu substantiieren.

Der Großteil der vorgelegten Entgegenhaltungen[11] ist schon mangels Ähnlichkeit grundsätzlich nicht geeignet, die wettbewerbliche Eigenart der „GENT“ zu schwächen. Die Beklagte hat insoweit wahllos „Plastikuhren“ aufgeführt, die schon auf den ersten Blick fast alle mit dem klägerischen Modell nicht viel gemeinsam haben, außer der Tatsache, dass sie aus Plastik sind. Dies ist nicht ausreichend.

Darüber hat sich die Beklagte hinsichtlich aller Entgegenhaltungen auch gar nicht zu deren Marktpräsenz erklärt. Sie hat lediglich online eine „Marktumfeldrecherche“ vorgenommen. Dies ist nicht ausreichend, weil ein Entfall der wettbewerblichen Eigenart regelmäßig voraussetzt, dass die Kombination der Gestaltungsmerkmale durch eine Vielzahl von Nachahmung die prägenden Gestaltungsmerkmale Allgemeingut geworden sind. Erforderlich ist eine Darlegung der Marktbedeutung der Produkte, mit denen die Eigenart der nachgeahmten Produkte in Frage gestellt werden soll[12]. Soweit sich also in Anlage B5 mit dem angebotenen Uhrenmodell „Calypso“ ein Modell befindet, dass eine hinreichende Ähnlichkeit aufweisen könnte, ist dies schon wegen fehlendem Vortrags zur Marktpräsenz nicht geeignet, die wettbewerbliche Eigenart der „GENT“ in Frage zu stellen. Im Übrigen wäre auch lediglich ein Angebot nicht ausreichend, einen Wegfall der wettbewerblichen Eigenart zu begründen.

Mit dem Landgericht ist hier eine Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG zu bejahen.

Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit kommt es auf die Gesamtwirkung der einander gegenüberstehenden Produkte an. Denn der Verkehr nimmt ein Produkt in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen wahr, ohne es einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen. Es ist weiter der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass der Verkehr die in Rede stehenden Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt, in dem die übereinstimmenden Merkmale stärker hervortreten als die unterscheidenden[13].

Danach ist hier -bei einer bildlichen Gegenüberstellung- von einem hohen Grad der Übernahme auszugehen. 

Die prägenden Merkmale[14] sind alle vorhanden.

Soweit die angegriffenen Ausführungsformen teilweise andere Farbkombinationen und Muster aufweisen, die sich bei Original so nicht finden, ist allein entscheidend, dass die prägenden Merkmale übernommen werden, zu denen Farbe und Muster nicht gehören. Zudem ist der Verkehr daran gewöhnt, dass das klägerische Modell in einer Vielzahl von Farb- und Gestaltungsvarianten angeboten wird. Umso weniger wird der Verkehr daher diesen Merkmalen Bedeutung zumessen; vielmehr wird er sich noch mehr auf die Form der Uhr konzentrieren, was die Nachahmungswirkung noch verstärkt.

Es fehlt auch nicht ab besonderen unlauterkeitsbegründenden Umständen im Sinne von § 4 Nr. 3 UWG.

Zwar fehlt es an einer unmittelbaren Herkunftstäuschung im Sinne § 4 Nr. 3 a UWG, da die abweichende Herstellerkennzeichnung grundsätzlich geeignet ist, einer unmittelbaren Herkunftstäuschung entgegenzuwirken[15].

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist jedoch eine mittelbare Herkunftstäuschung nach § 4 Nr. 3 a UWG zu bejahen.

Für die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft genügt es – wie im Markenrecht[16] – wenn der Verkehr bei der Produktnachahmung oder der nachgeahmten Kennzeichnung annimmt, es handle sich um eine neue Serie oder um eine Zweitmarke des Originalherstellers oder es bestünden lizenz- oder gesellschaftsvertragliche Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen[17]. Gegen eine solche Annahme spricht es allerdings in der Regel, wenn die unterschiedliche Herstellerangabe auf den Erzeugnissen deutlich erkennbar oder auffällig angebracht ist[18]. Es wären dann für die Annahme einer lizenzvertraglichen Beziehung zusätzliche Hinweise erforderlich, die über eine fast identische Nachahmung hinausgehen, wie etwa einer früheren Verbindung durch einen Lizenzvertrag oder des Vertriebs des Originalprodukts[19]. Sofern die Gefahr einer Herkunftstäuschung damit begründet werden soll, dass bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt werde, es handele sich bei dem Produkt des Wettbewerbers um eine neue Serie oder eine Zweitmarke des Unterlassungsgläubigers, müssen entsprechende Feststellungen zum Verständnis dieser Verkehrskreise getroffen werden[15].

Unter Zugrundelegung diese Maßstäbe ist hier eine mittelbare Herkunftstäuschung zu bejahen.

Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, es sei im Uhrenmarkt üblich, mit Zweitmarken zu operieren. So vertreibe Rolex eine Zweitmarke Tudor[20], Seiko verfüge über die Zweitmarken „Pulsar“ und „Lorus“[21], Tutima verfüge über die Zweitmarke „Boccia“[22], Festina vertreibe unter den Zweitmarken „Calypso“ und „Lotus“[23] und Jacques Etoile biete Uhren auch unter der Zweitmarke Mercure an[22]. Diese Vertriebe unter Zweitmarken hat die Beklagte nicht bestritten.

Weiterhin hat die Klägerin vorgetragen, es sei im Uhrenmarkt üblich, durch Lizenzverträge Uhren herzustellen. So stelle die Klägerin selbst Uhren der Marke „Calvin Klein“ in Lizenz her. Uhren der Marken Adidas, Armani, Diesel, Karl Lagerfeld, Michael Kors würden in Lizenz durch die Fossil-Gruppe hergestellt[24]; Herstellerin von Uhren der Marken „Hugo Boss“, „Lacoste“ oder „Thommy Hilfiger“ sei die Schweizer Herstellerin „Movado“[25].

Dieser substantiierte Vortrag ist geeignet, Zweitmarken und lizenzvertragliche Beziehungen auf dem Uhrenmarkt zu begründen. Vor allem in Bereich des Sports ist für den Verkehr auch ohne weitere erkennbar, dass nicht Bekleidungs- und Sportartikelhersteller nunmehr auch Uhren herstellen, sondern dies durch Uhrenhersteller geschieht.

Diesen – in erster Instanz nach Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen und in Berufungsbegründung ausdrücklich in Bezug genommenen Vortrag – hat die Beklagte zwar mit Nichtwissen bestritten. Angesichts des umfangreichen und substantiierten Vortrages hätte die selbst auf dem Uhrenmarkt als Verkäuferin tätige Beklagte es indes nicht hierbei belassen dürfen, sondern vielmehr dem klägerischen auch inhaltlich entgegentreten müssen. Hinzu kommt, dass die Beklagte selber vorgetragen hat, dass es sich bei dem Zeichen „orla kiely“ um eine irische Künstlerin handelt, die am Design der Uhr beteiligt war. Damit bestätigt sie den Vortrag der Klägerin, dass derartige Kooperationen mit Künstlern im Uhrenmarkt nicht unüblich sind und die Klägerin sie nach ihrem Vortrag selbst durchführt. Vor diesem Hintergrund wird der Verkehr daher durch derartige Kennzeichnungen Veranlassung haben anzunehmen, es handele sich um eine derartige Kooperation einer Künstlerin mit der Klägerin. Diese Annahme wird der Verkehr daher auf alle Kennzeichnungen an dieser Stelle übertragen. Soweit die Beklagte dem entgegenhält, die Klägerin führe derartige Kooperationen stets mit deutlichem Hinweis auf die Marke „Swatch“ auf dem Zifferblatt durch, steht dies dem nicht entgegen. Der Verkehr nimmt nämlich nicht die einzelnen Arten der lizenzvertraglichen Beziehung und deren Ausgestaltung war. Er weiß aber abstrakt-generell, dass es diese gibt.

Soweit das Landgericht auf die Entscheidung „Industrienähmaschinen“[26] verweist, ist hierin keine Abkehr des Bundesgerichtshofs von der bisherigen Rechtsprechung zur mittelbaren Herkunftstäuschung zu sehen. Die dortigen Feststellungen des Berufungsgerichts[27] beinhalten, dass die angesprochenen Fachkreise für Industrienähmaschinen aufgrund der deutlichen Herstellerangabe „S“ in den Prospekten sowie am Messestand der Beklagten nicht annähmen, die Industrienähmaschinen der Beklagten stammten aus dem Unternehmen der Klägerin oder es bestünden Lizenzverbindungen zwischen den Parteien. Ob diese Verkehrsvorstellungen auf den allgemeinen Verkehr übertragbar sind, ist allein schon aufgrund des im Vergleich zu Industrienähmaschinen deutlich niedrigen Preises fraglich[28]. Jedenfalls aber werden die Fachkreise ein Produkt deutlich genauer betrachten sowie aufgrund des engen Marktes für Industrienähmaschinen mehr Kenntnisse über lizenzvertragliche Beziehungen haben und diese dort ausschließen können. Insbesondere bei Angeboten, die sich an den Verbraucher richten, kann dagegen meist nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest Teile des angesprochenen Verkehrs zwar die Ware als von einem bestimmten Hersteller stammend kennen, aber nicht unbedingt den Namen dieses Herstellers oder die Marke, unter der dieser die Ware vertreibt. In Betracht kommt auch die Vorstellung, es handele sich möglicherweise um eine Zweitmarke des Herstellers[29]. Strengere Maßstäbe an das Vorliegen einer Herkunftstäuschung in weiteren Sinne dergestalt, dass die Anbringung einer Kennzeichnung generell eine Herkunftstäuschung ausschließe, ist dem Urteil des Bundesgerichtshofs daher nicht zu entnehmen.

Die Herkunftstäuschung war auch vermeidbar. Die Beklagte hätte ohne weiteres auf andere Gestaltungen ausweichen können.

Darüber hinaus liegt auch eine Ausnutzung der Wertschätzung (Rufausbeutung) nach § 4 Nr. 3 b UWG vor.

Eine Ausnutzung der Wertschätzung (Rufausnutzung) liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise die Wertschätzung für das Original[30], also die Vorstellung von der Güte oder Qualität, auf die Nachahmung übertragen[31]. Eine Rufausnutzung auf Grund[32] einer Waren- oder Dienstleistungsverwechslung liegt jedenfalls dann vor, wenn Eigenart und Besonderheiten des Erzeugnisses zu Qualitätserwartungen (Gütevorstellungen) führen, die dem Original zugeschrieben werden und der Nachahmung deshalb zugutekommen, weil der Verkehr sie mit ersterem verwechselt[33]. Der Begriff der Qualitätserwartungen ist dabei weit zu fassen und erstreckt sich auch auf die Erwartungen an das Prestige oder die Exklusivität des Produkts, kurzum auf das „Produktimage“. Ob diese Erwartungen an das Original sachlich gerechtfertigt sind, ist unerheblich[34]. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere der Grad der Anlehnung und die Stärke des Rufs des Produkts. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn zwar nicht der Käufer, wohl aber Dritte, die bei den Käufern die Nachahmungen sehen, zu irrigen Vorstellungen über die Echtheit verleitet werden, weil dies bereits ein Anreiz zum Kauf der Nachahmung ist. Es genügt eine offene oder verdeckte Anlehnung oder Annäherung an die fremde Leistung, wozu eine erkennbare Bezugnahme auf den Mitbewerber oder seine Produkte erforderlich ist. Bei einer (nahezu) identischen Nachahmung gilt ein strenger Maßstab[35]. Es ist dann dem Wettbewerber zuzumuten, auf eine andere angemessene technische Lösung auszuweichen, wenn er der Rufausnutzung nicht auf eine andere Weise entgegenwirken kann.

Eine solche Rufausbeutung ist hier zu bejahen.

Der Annahme einer besonderen Wertschätzung steht nicht entgegen, dass es sich bei den Produkten der Klägerin – preislich gesehen – nicht um „Luxusprodukte“ handelt. Auch niedrigpreisige Produkte können einer Rufausbeutung unterliegen. Soweit das Landgericht argumentiert, dass der Verkehr besondere Gütevorstellungen – wie etwa besondere Qualität oder eine Alleinstellung in dem Produktsegment – mit der Klägerin nicht verbinden werden, da der Uhrenmarkt im Hinblick auf „Plastikuhren“ unüberschaubar sei, greift dies zu kurz. Das Landgericht hat nicht den sehr hohen Grad der Nachahmung berücksichtigt und insbesondere den Ruf des nachgeahmten Produkts außer Betracht gelassen. Die „Plastikuhren“ des Modells „GENT“ der Klägerin in der streitgegenständlichen Form genießen einen außerordentlichen Ruf. Sie sind das Synonym für die Produktgruppe der Plastikuhren, die die Klägerin erstmals großflächig auf den Markt gebracht hat. Gepaart mit dem Ruf der schweizerischen Uhrenindustrie kann hier ein positiv behafteter Ruf angenommen werden. An dieses positive Image hat sich die Beklagte ohne Grund in so starkem Maße angelehnt, dass sie sich an das Image des Originalproduktes angehängt hat und auf diese Weise unlauter an der von der Klägerin durch eigene langjährige Anstrengungen am Markt erworbenen Wertschätzung profitiert.

Auch die abschließend erforderliche Interessenabwägung nach § 4 Nr. 3 UWG führt zu einer Unlauterkeit des Verhaltens der Beklagten.

Zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen besteht eine Wechselwirkung. Die Anforderungen, die an die Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals zu stellen sind, hängen von dem Maß der Tatbestandsverwirklichung der anderen Merkmale ab[36]. Kommt einer Ware oder Dienstleistung eine geringe oder durchschnittliche Eigenart zu, so sind die Anforderungen an das Vorliegen der unlauterkeitsbegründenden Umstände höher als im Falle einer hohen wettbewerblichen Eigenart. Entsprechendes gilt für die Intensität der Nachahmung. Liegt eine unmittelbare Leistungsübernahme vor, sind geringere Anforderungen an die unlauterkeitsbegründenden Umstände zu stellen als im Falle der schlichten Nachahmung. Diese Abwägung fällt angesichts der herausgehobenen Eigenart des klägerischen Produkts und des hohen Grades der Nachahmung zu Gunsten der Klägerin aus.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 17. Februar 2022 – 6 U 202/20

  1. LG Frankfurt am Main, Urteil vom 18.11.2020 – 2/6 O 78/20[]
  2. BGH GRUR 2016, 730 Rn 33 – Herrnhuter Stern[]
  3. BGH GRUR 2007, 795 Rn 32 – Handtaschen[]
  4. BGH WRP 2013, 1189 Rn 24 – Regalsystem[]
  5. BGH GRUR 2018, 32, Rn 66 – Ballerinaschuh[]
  6. z.B. Artikel im X 2013, in dem die „GENT“ als für eine ganze Generation prägend beschrieben wird; Berichterstattung in Anlagenkonvolut BK 3[]
  7. BGH GRUR 2021, 1544 – Kaffeebereiter[]
  8. BGH WRP 2015, 1090 Rn 11 – Exzenterzähne; BGH WRP 2016, 854 Rn 16 – Hot Sox; BGH WRP 2017, 51 Rn 52 – Segmentstruktur; BGH WRP 2017, 792 Rn 41 – Bodendübel[]
  9. BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen[]
  10. OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2015, 381[]
  11. Bl.206 ff., Anlage B5[]
  12. BGH GRUR 2006, 600, 602 – Handtuchklemmen; OLG Frankfurt am Main GRUR-RS 2020, 16836, Rn 18 – Kaffeebereiter[]
  13. BGH GRUR 2007, 795 Rn 32 – Handtaschen; BGH GRUR 2010, 80 Rn 39 – LIKEaBIKE[]
  14. Tonnengehäuse zur Aufnahme eines kreisrunden Zifferblattes, das oben und unten zum Armband hin harmonisch und flächig ausläuft, wodurch ein fließender Übergang zum Armband entsteht, insbesondere da das Armband ohne sichtbare Hornansätze mit dem Uhrgehäuse verzahnt ist; harmonisch abgerundetes Uhrgehäuserand; leicht kuppelförmiges, kreisrundes Uhrglas, das unmittelbar in das Gehäuse eingelassen ist; dezente Verjüngung des Armbands zur Schließe hin[]
  15. BGH a.a.O. – Kaffeebereiter[][]
  16. vgl. BGH GRUR 2000, 608, 609 – ARD-1[]
  17. BGH GRUR 2019, 196 Rn 15 – Industrienähmaschinen; BGH GRUR 2009, 1069 Rn 15 – Knoblauchwürste; BGH GRUR 2009, 1073 Rn 15 – Ausbeinmesser[]
  18. BGH GRUR 2009, 1069 Rn 16 – Knoblauchwürste; BGH WRP 2017, 792 Rn 61 – Bodendübel[]
  19. BGH GRUR 2019, 196 Rn 20 – Industrienähmaschinen[]
  20. Anlage K23[]
  21. Anlage K24[]
  22. Anlage K25[][]
  23. Anlage K26[]
  24. Anlage K28[]
  25. Anlage K29[]
  26. BGH GRUR 2019, 196[]
  27. also die des Oberlandesgerichts im Urteil vom 03.11.2016 – 6 U 175/15 = GRUR-RS 2016, 134575[]
  28. ebenso kritisch: Künzel GRUR-Prax 2019, 67[]
  29. so auch OLG Frankfurt am Main a.a.O. – Industrienähmaschinen[]
  30. „guter Ruf“, „Image“[]
  31. BGH GRUR 2010, 1125 Rn 42 – Femur-Tell; BGH WRP 2014, 1458 Rn 21- Olympia-Rabatt[]
  32. der Gefahr[]
  33. BGH GRUR 1985, 876, 877 – Tchibo/Rolex I; BGH GRUR 1996, 210, 212 – Vakuumpumpen; BGH GRUR 2010, 1125 Rn 41 – Femur-Teil[]
  34. BGH GRUR 1966, 617, 602 – Saxophon[]
  35. BGH GRUR 2022, 160, Rn 57 – Flying V[]
  36. BGH GRUR 2015, 909 Rn 9 – Exzenterzähne; BGH GRUR 2010, 80 Rn 21 – LIKEaBIKE[]