Übernahme von Schmerzensgeldansprüchen durch den Dienstherrn

§ 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW – wonach dann, wenn ein Dritter „durch rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts“ zur Zahlung von Schmerzensgeld an einen Beamten verurteilt worden ist, der Dienstherr diese Zahlung auf Antrag ganz oder teilweise übernehmen kann – gilt weder direkt noch analog für die Titulierung eines Schmerzensgeldanspruchs durch einen Vollstreckungsbescheid.

Übernahme von Schmerzensgeldansprüchen durch den Dienstherrn

Der hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedene Rechtsstreit betrifft den Antrag eines Beamten gegen seinen Dienstherrn auf Übernahme eines durch Vollstreckungsbescheid titulierten Schmerzensgeldanspruchs gegen den Täter einer vorsätzlichen Körperverletzung, die während der Dienstausübung des Beamten stattgefunden hat. Der Kläger ist Polizeikommissar im Dienst des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen. Er erlitt durch Fremdeinwirkung im Dezember 2016 bei der Ausübung seines Dienstes eine Schädelprellung, Schwellungen und eine Knieprellung. Der Polizeikommissar forderte einen Monat später den Täter schriftlich auf, 400 € Schmerzensgeld zu zahlen. Mangels Reaktion erwirkte er einen Mahnbescheid und später einen Vollstreckungsbescheid, letzteren über einen vorgerichtliche Kosten, Verfahrenskosten und Zinsen einschließenden Gesamtbetrag von 613 €. Ein danach unternommener Vollstreckungsversuch blieb erfolglos. In der Folgezeit beantragte der Polizeikommissar beim beklagten Land die Übernahme des Schmerzensgeldes einschließlich Verzugszinsen in Höhe von 660 €. Das Land lehnte dies ab, weil der durch einen Vollstreckungsbescheid titulierte Anspruch die gesetzliche Voraussetzung für eine solche Übernahme nicht erfülle.

Die hierauf erhobene Klage auf Neubescheidung ist erstinstanzlich vor dem Verwaltungsgericht Münster erfolgreich gewesen1. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat auf die Berufung des beklagten Landes das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen2. Es hat zur Begründung insbesondere ausgeführt: Dem Polizeikommissar stehe der geltend gemachte Übernahmeanspruch nach dem allein in Betracht kommenden § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW nicht zu, weil er kein rechtskräftiges Endurteil, sondern lediglich einen Vollstreckungsbescheid erwirkt habe. Die gesetzliche Voraussetzung des rechtskräftigen Endurteils erfasse Vollstreckungsbescheide nicht. Anders als bei Endurteilen finde bei Vollstreckungsbescheiden keine richterliche Prüfung des Anspruchs statt. Bestätigt werde das Auslegungsergebnis durch die Gesetzgebungsgeschichte, weil vor Einführung des § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW ein weitergehender – auch Vollstreckungsbescheide einschließender – parlamentarischer Gesetzgebungsantrag erfolglos geblieben sei. Auch eine analoge Anwendung dieser Norm auf Vollstreckungsbescheide komme nicht in Betracht. Es fehle angesichts der Gesetzgebungsgeschichte an einer planwidrigen Regelungslücke. Überdies habe die Norm Ausnahmecharakter. Das Bundesverwaltungsgericht sah dies nun ebenso und wies die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde als unbegründet ab; der allein in Anspruch genommene Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liege nicht vor:

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann3. Die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei auf die mit der Beschwerde dargelegten Rechtsfragen beschränkt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

Die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die Titulierung eines Schmerzensgeldanspruchs durch einen Vollstreckungsbescheid eine Verurteilung durch rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts im Sinne von § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW ist, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie kann anhand des Gesetzeswortlautes und mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet und mit dem Oberverwaltungsgericht verneint werden.

Nach § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW soll, wenn ein Dritter „durch rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts“ verurteilt worden ist, an einen Beamten wegen eines Nichtvermögensschadens Schmerzensgeld zu zahlen, der Dienstherr diese Entschädigung auf Antrag ganz oder teilweise bewirken, sofern bestimmte, im Gesetz weiter aufgeführte Voraussetzungen genannt sind. Nach Satz 2 dieser Norm steht ein vollstreckbarer Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO über die Zahlung eines Schmerzensgeldes einem Endurteil gleich, sofern die vereinbarte Höhe der Entschädigung angemessen ist.

Bereits aus dem Wortlaut und der Gesetzessystematik folgt, dass ein Vollstreckungsbescheid kein Endurteil im Sinne des § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW ist. Ein Urteil ist nach der Terminologie aller Prozessordnungen eine richterliche Entscheidung, ein Endurteil nach § 300 Abs. 1 ZPO die die Instanz abschließende „Endentscheidung“. Demgegenüber ist ein Vollstreckungsbescheid (§ 699 ZPO) bereits begrifflich kein Urteil. Er ist zwar eine gerichtliche, aber keine richterliche Entscheidung; der Vollstreckungsbescheid wird vielmehr vom Rechtspfleger als Vollstreckungsgericht erlassen (§ 20 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a RPflG). Ein Rechtspfleger kann keine Urteile erlassen.

Zwar erweitert § 82a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW den Anwendungsbereich der Übernahmemöglichkeit in § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW auf einen anderen Vollstreckungstitel als Endurteile. Diese Erweiterung ist aber auf den vollstreckbaren Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO beschränkt; es handelt sich nicht um eine lediglich beispielhafte (etwa durch „insbesondere“ eingeleitete), sondern um eine abschließende Erweiterung. Ein Vollstreckungsbescheid ist aber ebenso wenig ein vollstreckbarer Vergleich wie er ein Endurteil ist.

Dieses Ergebnis wird durch die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt, wie sie vom Oberverwaltungsgericht zutreffend herausgearbeitet worden ist. Der im parlamentarischen Verfahren eingebrachte Antrag, der Regelung eine inhaltlich weitergehende, auch Vollstreckungsbescheide einschließende Formulierung („rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten“) zu geben, fand im Landtag gerade keine Mehrheit.

Auch die weitere mit der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW analog anwendbar ist, wenn der Anspruch auf Schmerzensgeld nicht durch rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts, sondern durch einen Vollstreckungsbescheid tituliert ist, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

Die analoge Anwendung der von einer Norm angeordneten Rechtsfolge auf dieser Norm nicht unterfallende Sachverhalte setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Der Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig sein. Eine derartige Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte4.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Wie bereits ausgeführt, hat sich der Gesetzgeber mit der Problematik des Anwendungsbereichs der Norm, insbesondere ihrer Erstreckung auch auf ohne richterliche Prüfung zustande gekommene Vollstreckungstitel, befasst. In den parlamentarischen Beratungen war der hier einschlägige Fall des Vollstreckungsbescheids ausdrücklich erörtert, aber nicht aufgegriffen worden. Wenn sodann lediglich ein enger gefasster Normtext Gesetz geworden ist, der nur eine einzige Ausnahme von der Beschränkung auf Endurteile vorsieht, nämlich den gerichtlichen Vergleich, kann das nur so verstanden werden, dass es sich um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung handelt. Eine analoge Anwendung auf andere weitere Vollstreckungstitel i. S. d. § 794 ZPO kommt damit nicht in Betracht.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12. Januar 2023 – 2 B 38.22

  1. VG Münster, Urteil vom 15.06.2020 – 5 K 2861/19[]
  2. OVG NRW, Urteil vom 21.07.2022 – 6 A 2092/20[]
  3. stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 09.04.2014 – 2 B 107.13, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr.20 Rn. 9[]
  4. stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 28.06.2012 – 2 C 13.11, BVerwGE 143, 230 Rn. 24; und vom 27.03.2014 – 2 C 2.13, Buchholz 240 § 2 BBesG Nr. 13 Rn. 17; Beschluss vom 26.01.2016 – 2 B 17.15, Buchholz 239.1 § 38 BeamtVG Nr. 4 Rn. 8[]

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