Mobbing im öffentlichen Dienst – und der Schmerzensgeldanspruch

Der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht umfasst auch Ersatz für immaterielle Schäden. Die Prüfung der als „Mobbing“ bezeichneten Zusammenfassung einer aus Einzelhandlungen bestehenden systematischen Verletzung der Fürsorgepflicht macht eine Gesamtbetrachtung der Einzelakte erforderlich.

Mobbing im öffentlichen Dienst – und der Schmerzensgeldanspruch

Zum Vorrang des Primärrechtsschutzes nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB gehört nicht, dass ein Beamter nach Erwirkung einer einstweiligen Anordnung gegen seinen Dienstherrn auch noch Vollstreckungsmaßnahmen einleitet.

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall begehrt die klagende Beamtin immateriellen Schadensersatz wegen „Mobbings“. Sie stand bis zu ihrer Versetzung zu einem anderen Dienstherrn im Jahr 2017 als Stadtverwaltungsoberrätin (Besoldungsgruppe A 14 LBesO) im Dienst der beklagten Gemeinde; seit 2007 war sie mit der Leitung des Fachbereichs III „Bürgerdienste, Recht und Ordnung“ betraut. Nach seiner Wiederwahl vom Mai 2014 verfügte der Oberbürgermeister der Beklagten im Juli 2014 eine Neuorganisation des Verwaltungsaufbaus, mit der eine Reduzierung der Fachbereiche von vier auf drei einherging. In der Folge wurde die Beamtin auf die neu gebildete „Stabsstelle Recht“ umgesetzt.

Hiergegen gerichtete Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieben erfolglos. Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Beklagte jedoch im Wege der einstweiligen Anordnung, die Beamtin amtsangemessen zu beschäftigen. Den hierauf bezogenen Vollstreckungsantrag lehnte das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung ab, die Frist für die Vollziehung sei nicht eingehalten. Das Verwaltungsgericht verurteilte die Beklagte auch im Hauptsacheverfahren zur amtsangemessenen Beschäftigung der Beamtin; den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht ab.

Da die Beamtin im Zeitpunkt des Wirksamwerdens ihrer Umsetzung krankheitsbedingt nicht im Dienst war, wurde ihr bisheriges Dienstzimmer ? nach Anhörung ? geräumt und die darin befindlichen Gegenstände vorübergehend in ein anderes Büro verbracht, das auch früher schon von ihr genutzt worden war. Die der Beamtin und den ihr zugeordneten Mitarbeitern zugewiesenen Dienstzimmer befanden sich im Dachgeschoss eines Seitentrakts des Rathauses. Die dorthin führenden „sehr steilen Treppen“ waren aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht bereits im Jahr 2010 beanstandet worden. Im Juni 2015 erhielten die im Dachgeschoss untergebrachten Bediensteten andere Dienstzimmer. Aus Anlass der Umsetzung bat die Beamtin um eine schriftliche Einschätzung ihrer Leistungen als Fachbereichsleiterin, die sie gegebenenfalls „auch bei Bewerbungen“ vorlegen könne. In dem daraufhin vom Oberbürgermeister erstellten Dienstzeugnis hieß es abschließend, die Beamtin habe ein Dienstzeugnis verlangt, weil sie eine Bewerbung bei einem anderen Dienstherrn oder außerhalb des öffentlichen Dienstes beabsichtige. Anlässlich der Gerichtsurteile über den Anspruch der Beamtin auf amtsangemessene Beschäftigung stellte der Personalrat der Beklagten eine Pressemitteilung auf der Homepage ein, in der u. a. ausgeführt wurde: „Was nicht zur Verhandlung vor Gerichten, egal welcher Instanz, stehen wird, ist die auf der Strecke gebliebene Moral. Sich über Monate bei voller Besoldung als Chefjuristin der Verwaltung in ‚Krankheit‘ zu flüchten, weil man persönlich der Ansicht ist, arbeitsseitig unterfordert zu sein, sollte man den vielen fleißigen Beschäftigten, Beamten unserer Stadt einmal versuchen zu erklären.“

Die Beamtin sieht in diesen und weiteren Verhaltensweisen ein gezieltes „Mobbing“ des Oberbürgermeisters, der ihr gegenüber auch offenbart habe, im Rahmen seines Wahlkampfes im Frühjahr 2014 das Vertrauen in ihre Person verloren zu haben. Nachdem die Beamtin die Beklagte erfolglos zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert hatte, hat sie zunächst Untätigkeitsklage erhoben. Das Verwaltungsgericht Halle hat daraufhin festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Beamtin alle materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der in den Jahren 2014 bis 2016 durch die Beklagte begangenen Verletzungen des Beamtenverhältnisses noch entstehen werden und die Beklagte verurteilt, an die Beamtin ein Schmerzensgeld in Höhe von 23 000 € zu zahlen1. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt die Klage in vollem Umfang abgewiesen2. Zwar könne in dem Vertrauensverlust des Oberbürgermeisters eine plausible Motivation für eine Ausgrenzung und Diskriminierung der Beamtin liegen. Aus einem denkbaren Beweggrund könne indes nicht geschlossen werden, dass die in Rede stehenden Maßnahmen als gezielte Angriffe auf die Person der Beamtin zu bewerten wären. Vielmehr erfülle keiner der von der Beamtin geschilderten Einzelaspekte den Begriff des „Mobbings“, sodass das Bundesverwaltungsgericht auch bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kein als „Mobbing“ zu qualifizierendes Verhalten der Beklagten feststellen könne. Die hiergegen gerichtete; vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene3 Revision der Beamtin war vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolgreich; das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg habe seiner Entscheidung unzutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt:

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass „Mobbing“ weder eine Anspruchsgrundlage noch ein Rechtsbegriff ist. Der von der Beamtin vorgetragene Sachverhalt muss daher in rechtsförmige Kategorien eingeordnet werden. Mögliche Anspruchsgrundlage für das von der Beamtin geltend gemachte Begehren ist der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht.

Die unmittelbare Haftung des Dienstherrn für die durch eine Verletzung der Fürsorgepflicht entstandenen Schäden ist bereits vom Reichsgericht entwickelt und nachfolgend vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden4. Das Rechtsinstitut des beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruchs findet seinen Rechtsgrund im Beamtenverhältnis und begründet einen unmittelbar gegen den Dienstherrn gerichteten Ersatzanspruch für Schäden, die aus einer Verletzung der aus dem Beamtenverhältnis folgenden Pflichten entstehen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Dienstherr eine dem Beamten gegenüber bestehende Pflicht schuldhaft verletzt hat, die Rechtsverletzung adäquat kausal für den Schadenseintritt war und der Beamte es nicht unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines ihm zumutbaren Rechtsmittels abzuwenden5.

Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus § 45 BeamtStG vermittelt dem Beamten Anspruch auf Schutz und Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte6; sie verpflichtet den Dienstherrn, Schädigungen der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Beamten zu vermeiden7.

Unter den Voraussetzungen einer Verletzung der Fürsorgepflicht kann mit dem beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch daher auch ein Ersatz für immaterielle Schäden gewährt werden (vgl. § 253 Abs. 2 BGB). Dies gilt auch, soweit durch eine gezielte Unterbeschäftigung die Fürsorgepflicht verletzt worden ist.

Mit der Bezeichnung als „Mobbing“ soll dabei ein bestimmtes Gesamtverhalten als Verletzungshandlung im Rechtssinne qualifiziert werden.

Die rechtliche Besonderheit der als „Mobbing“ bezeichneten tatsächlichen Erscheinungen liegt darin, dass nicht eine einzelne, abgrenzbare Handlung, sondern die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte zu einer Rechtsverletzung des Betroffenen führen kann. Wesensmerkmal der als „Mobbing“ bezeichneten Beeinträchtigung ist die systematische, sich aus vielen einzelnen Handlungen zusammensetzende Verletzungshandlung, wobei den einzelnen Handlungen bei isolierter Betrachtung eine rechtliche Bedeutung oft nicht zukommt8. In das Bundesverwaltungsgerichtsrechtsprechung ist „Mobbing“ daher als ein „systematisches Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren“ verstanden worden9.

Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht verkannt. In der ? auf einen einzigen Satz beschränkten ? Begründung der Gesamtschau kommt vielmehr zum Ausdruck, dass das Oberverwaltungsgericht bereits dem Umstand, dass es keinem der geschilderten Einzelmaßnahmen für sich genommen die Qualität eines „Mobbings“ zuerkannte, maßgebliche Bedeutung zugemessen hat. Damit wird das Wesen und die rechtliche Qualität der vorgetragenen Fürsorgepflichtverletzung durch „Mobbing“ nicht zutreffend erfasst.

Durch die defizitäre Betrachtung des Gesamtgeschehens hat es das Berufungsgericht insbesondere versäumt, die Möglichkeit eines Gesamtsystems der vorgetragenen Einzelmaßnahmen in den Blick zu nehmen. Derartiges hätte in besonderer Weise nahegelegen, weil das Berufungsgericht selbst ? im Hinblick auf den im Rahmen des Wahlkampfes vorgetragenen Vertrauensverlust ? „eine plausible Motivation für eine Ausgrenzung und Diskriminierung“ der Beamtin durch den Oberbürgermeister für möglich gehalten hatte. Bei dieser Sachlage durfte eine zusammenfassende Betrachtung des Gesamtverhaltens nicht unterbleiben.

Dies gilt umso mehr, als auch nach Auffassung des Berufungsgerichts jedenfalls einzelne der vorgetragenen Maßnahmen zu beanstanden waren. Dass die Beklagte den Anspruch der Beamtin auf amtsangemessene Beschäftigung über einen erheblichen Zeitraum nicht erfüllt und sie so in ihren Rechten verletzt hat, stellt die Berufungsentscheidung nicht in Abrede. Ob die Beklagte „die Nichtübertragung adäquater Aufgaben in einem Mobbingzusammenhang als Mittel eingesetzt [hat], um die Beamtin zu schikanieren“, kann daher nicht in isolierter Betrachtung, sondern nur durch eine angemessene Gesamtschau aller Maßnahmen beurteilt werden.

Widersprüchlich erscheint vor diesem Hintergrund auch die Annahme, dass aus dem Fehlen einer qualitativ und quantitativ ausreichenden Zuweisung von Arbeitsaufgaben nicht auf eine beim Oberbürgermeister vorhandene Diskriminierungsabsicht geschlossen werden könne. Maßgeblich wäre vielmehr die Betrachtung gewesen, ob die geschilderten Maßnahmen in einer Zusammenschau und bei Berücksichtigung der auch vom Berufungsgericht für plausibel gehaltenen Schikanemotivation als Verletzung der Fürsorgepflicht zu bewerten sind.

Auch soweit das Berufungsgericht darauf verwiesen hat, die Inanspruchnahme zulässiger Verteidigungsmöglichkeiten und Einreden durch die Beklagte im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung vor dem Verwaltungsgericht stelle kein rechtswidriges Verhalten dar und könne daher nicht als missbräuchlich bewertet werden, wird deutlich, dass die Möglichkeit einer Schikaneabsicht nicht ernsthaft erwogen worden ist. Wieso das Befangenheitsgesuch im Rahmen des von der Beamtin betriebenen Vollstreckungsverfahrens nicht auf Verschleppungsabsichten zurückgeführt werden könne – wie das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg ausführt – bleibt im Übrigen offen.

Entsprechendes gilt für die Betrachtung der Zuweisung eines Dienstzimmers, dessen sicherheitsrechtliche Bedenken bekannt waren.

Auch soweit das Berufungsgericht dem Anspruch der Beamtin die unterlassene Anwendung von Rechtsmitteln entsprechend § 839 Abs. 3 BGB entgegengehalten hat, geht es von unzutreffenden rechtlichen Maßstäben aus.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die in § 839 Abs. 3 BGB für Fälle der Amtshaftung getroffene Regelung als Ausprägung des Mitverschuldensprinzips auch für den beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch Anwendung findet. In ihr kommt zugleich der Grundsatz vom Vorrang des Primärrechtsschutzes zum Ausdruck. Bei rechtswidrigem Handeln des Staates ist der Betroffene gehalten, zunächst die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Abhilfe in Anspruch zu nehmen (kein „dulde und liquidiere“). Ein Anspruchsverlust tritt jedoch nur durch den Nichtgebrauch von zumutbaren und erfolgversprechenden Rechtsmitteln ein10.

Im Hinblick auf die von der Beamtin gerügte nicht amtsangemessene Beschäftigung war sie daher gehalten, (Primär-)Rechtsmittel zur Abwendung des beanstandeten Verhaltens zu ergreifen. Hierzu gehört auch die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes11, von der die Beamtin Gebrauch gemacht hat. Auf ihren Antrag hin hat das Verwaltungsgericht die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Beamtin amtsangemessen zu beschäftigen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führt die nicht ordnungsgemäße Ausschöpfung der Möglichkeit, Vollziehungsmaßnahmen aus dieser einstweiligen Anordnung zu ergreifen, nicht zum Anspruchsverlust entsprechend § 839 Abs. 3 BGB. Eine Beamtin, die eine gerichtliche Verfügung gegen ihren Dienstherrn erwirkt hat, darf darauf vertrauen, dass dieser der Anordnung des Gerichts Folge leisten wird. Es ist ihr nicht zuzumuten, über die Beschreitung vorläufigen Rechtsschutzes hinaus auch Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihren Dienstherrn einzuleiten, um dem Vorwurf unterlassener Rechtsbehelfe bei der Geltendmachung von Sekundäransprüchen zu entgehen. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung trägt weder der Verpflichtung des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn zu rechtstreuem Verhalten noch der gegenseitigen Treueverpflichtung im Beamtenverhältnis hinreichend Rechnung.

Dem entspricht, dass bei der Prüfung der Zumutbarkeit von Rechtsmitteln in „Mobbing“-Konstellationen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berücksichtigt werden muss, dass bei Einlegung von Rechtsbehelfen eine Verschlechterung der gegenwärtigen Situation zu befürchten sein kann12.

Das Berufungsgericht hat seine tatsächlichen Feststellungen unter Verstoß gegen die hierfür geltenden Verfahrensregelungen getroffen.

Den von der Beamtin in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gestellten Antrag, zum Beweis der Tatsache, dass der Oberbürgermeister der Beklagten die Verlautbarung des Personalrats vor deren Erscheinen am 12.12.2015 in der Presse gekannt habe, die benannten Personalratsmitglieder als Zeugen zu vernehmen, hat das Berufungsgericht wegen mangelnder Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen abgelehnt. Angesichts der vom Oberbürgermeister artikulierten Ablehnung eines Führens der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit könne das Versäumnis, die Persönlichkeitsrechte der Beamtin mit hinreichendem Nachdruck zu verteidigen, „nicht für sich genommen, sondern nur in Verbindung mit anderen Handlungsweisen ? an denen es indes fehlt ? geeignet [sein], auf ein ‚Mobbing‘ hinzuweisen“.

Diese Erwägung trägt die unterstellte Unerheblichkeit der Beweistatsache nicht. Denn nach der Begründung des Berufungsgerichts ist es nicht ausgeschlossen, dass die unter Beweis gestellte Tatsache, wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts beeinflussen könnte. Die Ablehnung des Beweisantrags darf aber nicht dazu führen, dass aufklärbare, zugunsten eines Beteiligten sprechende Umstände der gebotenen Gesamtabwägung im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden13.

Das Berufungsgericht geht mit der gegebenen Begründung selbst davon aus, dass der unter Beweis gestellten Tatsache Erheblichkeit für die zu entscheidende Frage zukommen kann, ob eine Fürsorgepflichtverletzung durch „Mobbing“ vorliegt. Damit besteht ein Zusammenhang zwischen dem zu beurteilenden Sachverhalt und der unter Beweis gestellten Tatsache14. Warum es an anderen, auf ein „Mobbing“ des Oberbürgermeisters hinweisenden Handlungsweisen fehlen sollte, führt das Berufungsgericht nicht aus. Diese Frage ist indes ? auch auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ? anhand einer Gesamtschau der beanstandeten Handlungen zu beurteilen. Sie kann daher nicht vorab, bezogen auf eine einzelne Maßnahme, verneint werden, sondern bedarf einer zusammenfassenden Gesamtschau. Die Ablehnung weiterer Ermittlungen zieht deshalb eine vorweggenommene Beweiswürdigung der Fragen nach sich, die erst im Rahmen einer Gesamtschau beurteilt werden können. Sie hätten vom Berufungsgericht aufgeklärt werden müssen, um die Voraussetzungen für eine angemessene Würdigung der Verhaltensweisen des Oberbürgermeisters zu ermöglichen15.

Die Ablehnung des Beweisantrags kann folglich nicht auf die in Anspruch genommene fehlende Entscheidungserheblichkeit gestützt werden und ist fehlerhaft. Das angegriffene Berufungsurteil beruht deshalb auch auf einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebotes verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet16.

Auch die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gestellten Antrags, zum Beweis der Tatsache, dass die Beamtin u. a. aufgrund ihrer amtsunangemessenen Beschäftigung erkrankt ist, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen und die benannten Ärzte als sachverständige Zeugen zu vernehmen, entspricht nicht dem geltenden Verfahrensrecht.

Dies folgt bereits daraus, dass die im Protokoll der mündlichen Verhandlung gegebene Begründung und die im Berufungsurteil ausgewiesenen Gründe nicht identisch sind. Während die Sitzungsniederschrift ? ohne weitere Begründung ? auf eine „mangelnde Entscheidungserheblichkeit“ verweist, ist im Berufungsurteil ausgeführt, die beantragte Beweiserhebung sei nicht geeignet gewesen, den erforderlichen Kausalitätsnachweis zu erbringen. Auch im Falle der Bestätigung der von der Beamtin vorgebrachten Behauptung stünde nicht fest, dass die nicht amtsangemessene Verwendung die Erkrankung auch ohne die weiteren Umstände hervorgerufen hätte.

Damit sind die Grundsätze des Kausalitätsmaßstabs nicht zutreffend erfasst. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Voraussetzung für die Geltendmachung eines beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruchs, dass die Rechtsverletzung adäquat kausal für den Schadenseintritt war5. Liegen mehrere Ursachen vor, ist grundsätzlich jede von ihnen als wesentliche (Mit-)Ursache anzusehen, wenn sie annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Erfolgs hat17. Diesen Maßstäben entspricht die Auffassung des Berufungsgerichts nicht. Es verlangt eine – alleinige – Ursache, indem die Anforderung aufgestellt wird, dass die nicht amtsangemessene Verwendung „die Erkrankung auch ohne die weiteren Umstände hervorgerufen hätte“.

Ein ? jedenfalls mitursächlicher ? Zusammenhang der mit dem Dienstposten „verbundenen Einschränkungen der persönlichen fachlichen Entfaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten“ und der Erkrankung der Beamtin ist in der amtsärztlichen Stellungnahme vom 05.07.2016 ? ausweislich der im angegriffenen Berufungsurteil enthaltenen Feststellungen ? bescheinigt.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Eine unmittelbare Entscheidung in der Sache selbst schied aus, weil es weiterer Sachverhaltsaufklärung bedarf und die abschließende Würdigung des Gesamtgeschehens den Tatsachengerichten vorbehalten ist.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. März 2023 – 2 C 6.21

  1. VG Halle, Urteil vom 27.03.2019 – 5 A 519.16.HAL[]
  2. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.10.2020 – 1 L 72/19[]
  3. BVerwG, Beschluss vom 12.07.2021 – 2 B 77.20[]
  4. vgl. BVerwG, Urteile vom 24.08.1961 – 2 C 165.59, BVerwGE 13, 17 <19 f.> und vom 15.06.2018 – 2 C 19.17, BVerwGE 162, 253 Rn. 9 jeweils m. w. N.[]
  5. vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 15.11.2022 – 2 C 4.21, NVwZ 2023, 609 Rn. 9 m. w. N.[][]
  6. vgl. BVerwG, Urteil vom 27.02.2003 – 2 C 10.02, BVerwGE 118, 10 <13>[]
  7. vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.05.2005 – 2 BvR 583/05, NVwZ 2005, 926; BVerwG, Beschluss vom 18.02.2013 – 2 B 51.12, NVwZ 2013, 797 Rn. 10 m. w. N.[]
  8. vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2007 – 8 ARZ 709/06 – BAGE 122, 304 Rn. 58[]
  9. BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 – 2 A 4.04, NVwZ-RR 2006, 485 Rn. 36[]
  10. vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2022 – 2 C 4.21, NVwZ 2023, 609 Rn. 34 m. w. N.[]
  11. vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2016 – 2 C 30.15, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 Nr. 78 Rn. 30[]
  12. vgl. BGH, Beschlüsse vom 01.08.2002 – III ZR 277/01 – NJW 2002, 3172 <3174> und vom 30.06.2016 – III ZR 316/15, NVwZ-RR 2016, 917 Rn. 2[]
  13. BGH, Urteil vom 03.12.2004 – 2 StR 156/04 – NJW 2005, 1132 <1133> zu § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO[]
  14. vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl.2022, § 86 Rn. 70[]
  15. vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.01.2021 – 6 B 48.20, Buchholz 402.44 VersammlG Nr. 24 Rn. 18[]
  16. BVerfG, Beschlüsse vom 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141 <143 f.> und vom 26.06.2002 – 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279 <311>[]
  17. BVerwG, Urteil vom 12.12.2019 – 2 A 6.18, Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 33 Rn. 17[]

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