Antrag auf Urteilsergänzung – und die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung

Über offensichtlich unzulässige Anträge auf Ergänzung des Urteils gemäß § 120 Abs. 1 VwGO kann auch nach Inkrafttreten des § 120 Abs. 3 Satz 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Antrag auf Urteilsergänzung – und die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung

Die Frage, ob über einen offensichtlich unzulässigen Antrag auf Urteilsergänzung auch nach der Einfügung von § 120 Abs. 3 Satz 2 VwGO im Beschlusswege und ohne mündliche Verhandlung entschieden werden darf, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht klärungsbedürftig. Sie lässt sich ohne Weiteres – bejahend – mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung aus dem Gesetz beantworten:

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass offensichtlich unzulässige Anträge auf Ergänzung des Urteils gemäß § 120 VwGO entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 125 Abs. 2 Satz 1, § 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss verworfen werden können und die in § 120 VwGO vorausgesetzte Durchführung einer mündlichen Verhandlung in solchen Fällen entbehrlich ist1.

Daran hat auch die spätere Einfügung des § 120 Abs. 3 Satz 2 VwGO durch Gesetz vom 12.12.20192 nichts geändert. Nach dieser Vorschrift kann von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn mit der Ergänzung des Urteils nur über einen Nebenanspruch oder über die Kosten entschieden werden soll und wenn die Bedeutung der Sache keine mündliche Verhandlung erfordert. Diese Regelung, die eine dem ebenfalls neu gefassten § 321 Abs. 3 ZPO vergleichbare Bestimmung enthält, hat der Gesetzgeber im Interesse der effizienten und beschleunigten Verfahrensbearbeitung eingefügt3. Ein Ausschluss der in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bereits anerkannten Möglichkeit, offensichtlich unzulässige Anträge auf Urteilsergänzung in entsprechender Anwendung von § 125 Abs. 2 Satz 1, § 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss und ohne mündliche Verhandlung zu verwerfen, war damit erkennbar nicht verbunden. Für einen solchen Ausschluss bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Zudem liefe er dem mit der Einfügung des § 120 Abs. 3 Satz 2 VwGO verfolgten Zweck, das Verfahren zu beschleunigen, ersichtlich zuwider.

Eine Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO greift in einem solchen Fall ebenfalls nicht durch. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verfahrensfehlerhaft ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung über den Antrag auf Ergänzung des Urteils entschieden, denn einer solchen bedarf es im Falle offensichtlich unzulässiger Anträge nach § 120 VwGO – wie unter 1. dargelegt – nicht. Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts verletzt auch nicht die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs.

Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorlagen. Nach § 120 Abs. 1 VwGO ist das Urteil durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen, wenn ein nach dem Tatbestand von einem Beteiligten gestellter Antrag bei der Entscheidung ganz oder zum Teil übergangen ist. Die Regelung ermöglicht die Ergänzung einer versehentlich unvollständigen Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren. Das Gericht soll die Entscheidung über prozessuale Ansprüche nachholen, über die es zunächst vergessen hat, zu entscheiden. Dagegen handelt es sich nicht um ein Übergehen im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO und ist ein Antrag auf Urteilsergänzung unzulässig, wenn das Gericht eine solche Entscheidung bewusst nicht getroffen hat, etwa weil es sich daran aus prozessualen Gründen gehindert gesehen hat. Auf die Richtigkeit dieser Rechtsauffassung kommt es nicht an. Der dadurch beschwerte Beteiligte ist darauf verwiesen, das zulässige Rechtsmittel gegen eine solche bewusste Teilentscheidung einzulegen4. In dem Antrag muss ein nicht erledigter Teil des Verfahrens so konkret aufgezeigt werden, dass die Möglichkeit der verlangten Ergänzung in Betracht gezogen werden kann5.

Gemessen hieran lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen, dass entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts die Möglichkeit der beantragten Urteilsergänzung bestand. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Anträge nicht übersehen, sondern über das Verpflichtungsbegehren nicht entschieden, weil dieses nach seinem Rechtsstandpunkt erst nachträglich im Wege einer unzulässigen Klageänderung zum Verfahrensgegenstand gemacht werden sollte. Auf die Richtigkeit dieser Einordnung kommt es nach den soeben dargestellten Grundsätzen nicht an. Der Antrag nach § 120 VwGO ist offensichtlich unstatthaft schon, weil das Oberverwaltungsgericht aus prozessualen Erwägungen bewusst nicht über das Verpflichtungsbegehren entschieden hat.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11. Dezember 2023 – 8 B 27.23

  1. stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 09.06.2011 – 3 C 14.11, Buchholz 310 § 120 VwGO Nr. 10 Rn. 13 f.; und vom 14.09.2016 – 6 B 47.16 2[]
  2. BGBl. I S. 2633[]
  3. vgl. BR-Drs. 366/19 S. 16, 21; BT-Drs.19/13828 S.20, 24[]
  4. stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1994 – 9 C 529.93, BVerwGE 95, 269 <271> m. w. N., Beschluss vom 14.09.2016 – 6 B 47.16 2[]
  5. vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.06.2011 – 3 C 14.11, Buchholz 310 § 120 VwGO Nr. 10 Rn. 14[]

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  • Bundesverwaltungsgericht: Robert Windisch